Pensionsantritt.

Ein Begriff, der uns in den nächsten Jahren noch häufiger begegnen, mitunter einen Schauer den Rücken hinuntersenden wird.

Fernab der Diskussion um mögliche Pensionsreformen bezeichnet der Begriff vor allem den Umstand, dass ein Mensch viele Jahre seiner Schaffenskraft in den Dienst einer (oder mehr als einer) Organisation gestellt und so seinen Beitrag geleistet hat. Das ist schon mal aller Ehren wert.

Darüber hinaus ist es natürlich auch ein Synonym für große und – hoffentlich – großartige Lebensveränderungen. Diese betreffen in erster Linie wohl die frischgebackenen Pensionisten und ihr Umfeld. Häufig aber auch deren ehemalige KollegInnen, Nachfolger und Geschäftspartner.

In Fall der alge electronic gmbh treten im heurigen Jahr 2023 mit dem geschäftsführenden Gesellschafter Dietmar Alge (Eintritt: 1984) und seiner Gattin, der Prokuristin Jutta Alge (Eintritt 1987) zwei Menschen Ihre Pension an, deren Ausscheiden aus dem Arbeitsleben eine außergewöhnlich große Lücke hinterlässt. Dass diese Lücke dennoch geschlossen werden kann, dafür haben beide selbst gesorgt: Als deren Sohn und Betriebsnachfolger unseres Familienunternehmens war ich, ebenso wie einige Kollegen im Unternehmen, in diesen intensiven Prozess in aller Tiefe miteingebunden.

Wobei intensiv es nicht ausreichend erfasst.

Der Prozess war mühsam, schweißtreibend und strapaziös. Er hat uns Nerven und Geduld gekostet, und ja, wir haben auch Schleifen gedreht. Auch die Fetzen sind geflogen. Und der Prozess war gut für uns, als Kollegen wie als Familienmitglieder.

Doch der Reihe nach.


Ein ungleiches Paar

Wie stellt man sich als Außenstehender ein Paar wie meine Eltern wohl vor?

Ich vermute, ein dominanter, honoriger Herr kommt einem als erstes in den Sinn. Vermutlich ist er in der Vorstellung jovial bis an die Grenze der Ironie. Jedenfalls dürfte er das Steuerruder seines Unternehmens fest in der Hand halten voller Stolz darauf hinweisen, dass er genau weiß, was in jeder Situation zu tun ist. Erfahrung hat er ja, gefallen lassen muss er sich nichts mehr. Begleitet wird er von seiner treuen, doch zurückhaltenden Gattin, die ihm als Stütze zur Seite steht und quasi nebenbei den Haushalt schmeißt.

Korrekt?

Nun, um es mit den Worten des großartigen Jonathan Frakes zu sagen: Diese Vorstellung ist frei erfunden.

Meine Eltern sind vieles, aber in erster Linie sind sie Partner.

Mein Vater als charismatisches Gesicht des Unternehmens und Leiter von dessen Geschicken kommt der beschriebenen Variante wohl zumindest etwas näher. Ein immer optimistischer, kreativer und neuen Dingen gegenüber offener Unternehmer, der in allen Entscheidungen immer Vernunft walten ließ und lässt. Der geduldig ist und auch vorsichtig, der aber Chancen erkennt und diese in jederzeit moralisch vertretbarer Weise zu nutzen versteht. Ein Mensch, den man um sich haben will.

Meine Mutter steht ihm als Vollblut-Unternehmerin und profunde Menschenkennerin um nichts nach. Nicht nur Stütze, sondern Stützpfeiler. Ein Mensch, der nicht gerne im Rampenlicht steht, sondern hinter der Bühne die richtigen Fragen stellt und im österreichischen Administrationsdschungel in rechtlichen Aspekten jeder Rechtsberatung zur veritablen Konkurrenz gereichen könnte. Selten optimistisch, immer realistisch und zuverlässig kritisch.

Lance Romance und Dr. Watson, wenn man so möchte. Was für eine Mischung!


40 Jahre Hochdruck

Dieses beeindruckende Paar hat in vier Jahrzehnten einiges gemeinsam er- und durchlebt. Vor allem in beruflicher Hinsicht: Ups and downs, smiles and frowns, die ganze Bandbreite. Ein erfülltes Berufsleben eben.

Schon der Start der beruflichen Jahre meiner Eltern in der 1970 gegründeten alge electronic waren verheißungsvoll. Ihre späten 20er und gesamten 30er Jahre fielen mit den 1980er und 1990er Jahre zusammen und waren von einem Übermaß an Erfolg geprägt. Vieles, ach was, alles schien möglich, die Cote d’Azur jederzeit um die Ecke, und ein Rekordjahr jagte das nächste. Eine große Anzahl an vernünftigen und kreativen Entscheidungen gingen auf, und die erfahrene Selbstwirksamkeit war Wasser auf die Mühlen des eigenen Erfolges. Dennoch galt auch in dieser Zeit: Von nichts kommt nichts. Erfolg macht das Arbeiten dann zum Hobby, und so erging es meinen äußerst fleißigen Eltern in ihren persönlichen „Roaring 30ies“.

Diese wurden dann ab Beginn ihrer frühen 40er sehr stark kontrastiert. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Jahre 2001 bis 2004, in denen die alge electronic als Opfer eines Betrugsfalles kurz vor der Insolvenz gestanden war. Ein Kunde hatte mit einer Führungskraft der alge electronic, dem damaligen Entwicklungsleiter und technischen Geschäftsführer, während zur gemeinsamen Zusammenarbeit ein neues Unternehmen gegründet und parallel (!) die komplette siebenköpfige Entwicklungsabteilung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen abgeworben. Damit war auch das damals angemeldete Patent praktisch wertlos, da es schlicht nicht mehr aktiv genutzt werden konnte. Das Resultat? Eine nur haarscharf abgewendete Insolvenz, die aufgrund der vollständigen Mobilisierung aller Kraftreserven des damaligen Teams erreicht wurde und – ich bin stolz, das behaupten zu können – vor allem meinen Eltern zu verdanken war. Doch was blieb auch anderes übrig? Im Endeffekt war nicht alles, doch sehr vieles damals privat besichert. Auch meine Lebensumstände und die meines Bruders hätten sich bei einer Insolvenz von heute auf morgen massiv verändert.

Ihre 50er verliefen dann glücklicherweise in ruhigeren Bahnen. Erfolgreich und konstant ja, weniger volatil auf jeden Fall. Die Organisation war stabil, dasselbe galt für den Prozess vom jüngeren Unternehmerpaar in die beginnende Seniorität. Natürlich war auch damals immer noch einiges los: Das Geschäftsmodell musste in geringen Dosen angepasst, eine Finanzkrise überstanden und abgelitten werden. Doch dank gemachter Krisenerfahrungen war auch diese Situation bewältigbar.

Bleiben noch die letzten 10 Jahre und damit jene, die ich nicht mehr von der Seitenauslinie, sondern als Mitspieler erleben durfte. Man muss sich einen solchen Nachfolgeprozess bildlich vorstellen: Das „Kind“ wird zuerst Kollege und übernimmt danach genau die Verantwortung, die man selbst mit sehr viel Energie und Sorgen über viele Jahre geschultert hat. Und dabei soll man noch einen Schritt zurücktreten, um der Entfaltung nicht im Wege zu stehen, während man auf den Erfahrungsschatz so vieler Jahre zugreifen kann.

Wer soll bei einem solchen Prozess geduldig bleiben und sich selbst zurücknehmen?

Auch wenn meine Eltern genau das in den notwendigen Situationen vollbracht haben, war es glücklicherweise nicht immer notwendig: Der geneigte Nachfolger war nämlich häufig genug froh um die kombinierte Erfahrung aus beinahe 80 Jahren Unternehmertum, vor allem in den vergangenen drei Jahren. 2020, als eine noch nie dagewesene Pandemie Anforderungen an die Organisationen stellte, die bislang weitestgehend unbekannt waren. Und dann nochmals ab 2021, als die weltweite Verknappung von Elektronikkomponenten zu Verwerfungen an im Grunde allen Märkten führte.

Auch hier darf ich sagen:

Meine Eltern waren da. Kein Wegducken, keine Opferrolle, kein Rückzug. Aber eben so wenig Vorgabe, Dominanz oder gar Schadenfreude. Begleitet von seit Jahren wertvollen und mittlerweile mit der Familie befreundeten Beratern konnten wir genau so die Lücke Ihres Pensionsantritts schließen, bevor  deren Existenz uns erst Schmerzen bereitete.

Ich glaube nicht, dass ich das in dieser außergewöhnlichen Art und Weise zu leisten im Standen gewesen wäre.

Und das macht mich stolz auf meine Eltern.


Und was bleibt?

Meine Eltern haben bei mir grundsätzlich einen tiefen Eindruck hinterlassen. Als junger Mensch war ich noch von Schauspielern und Sportlern beeindruckt, später dann von Menschen, die öffentlichkeitwirksam Großes geleistet haben. So wollte ich sein – ein bewundernswertes Leben führen. Aber was ist denn schon wirklich bewundernswert?

Ich kann als Sohn und Nachfolger sagen, dass ich meine Eltern nicht gut finde – ich finde sie großartig, und ich bin stolz darauf, welche Spuren sie hinterlassen haben in unserer Organisation, bei den Menschen, die damit in Verbindung stehen. Vor allem aber bei mir, ihrem Sohn und Nachfolger. Sie sind vielleicht nicht berühmt, und wenn sie öffentliche Rekorde hinterlassen haben, sind mir diese zumindest nicht bekannt.

Doch das müssen Sie auch nicht.

Lieber Papa, liebe Mama, ich wünsche euch von Herzen nur das allerbeste in eurer nun beginnenden Pension.

Ihr habt es euch verdient.

 

Marc Albin Alge
Geschäftsführender Gesellschafter alge electronic gmbh