Gedanken zu Electronics Manufacturing Services

In der Serie Leserinterviews stellt die Redaktion die Fragen und die Leser antworten. EMS-Geschäftsführer Marc Albin Alge hat sich selbst gefragt und ein paar ungewöhnliche Antworten gegeben.
„Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“ Hand aufs Herz: Ist das nicht ein ganz hervorragender Aphorismus? Die Art von Gedanke, die elegant und treffsicher genau jene Nuance an Zuversicht verströmt, der wir uns nicht entziehen können? Es erscheint mir unmöglich, bei diesen Worten des großartigen Karl Valentin, um ein Schmunzeln umhin zu kommen.

Fernab jeglicher Polemik dient das Zitat auch als Fragestellung, wie wir in herausfordernden Momenten wirklich zu den Dingen stehen. Tun wir das pessimistisch oder optimistisch, sorgenvoll oder mutig? Diese Frage sollten wir uns in der aktuellen Situation stellen. Oder besser noch: uns dieser Frage stellen.

Viele Optionen haben es bislang nicht an die Spitze der Agenda geschafft

Es wäre unnötig, jemanden an dieser Stelle mit Bedenken, Negativszenarien oder Mahnungen zur Vorsicht zu belästigen. Schließlich wissen wir alle, dass kurzfristige Maßnahmen, das Zuspitzen des Kosten-Bleistiftes und die Sicherung von Liquidität als Vorbereitung auf alle weniger zuversichtlichen Szenarien zum Standardrepertoire der Unternehmensführung gehören. Der Feuerwehrhelm ist uns also wohlbekannt.

Stattdessen muss das langfristige Spiel im Auge behalten werden. Und, mit Verlaub: hier bestehen Optionen, die es in der Branche in den letzten Jahren nicht an die Spitze der Agenda geschafft haben. Verständlicherweise erscheinen sie im ersten Moment als äußerst unbequem. Alle diese Optionen, die im Folgenden präsentiert werden, eint der Gedanke einer Zusammenarbeit – eines gemeinsamen Mutmachers. Also stellen wir uns der Frage: Wie stehen wir zu folgenden Dingen wirklich?

Warum wollen wir andauernd wachsen?

Bitte sehen Sie diese Frage fernab von Inflation oder gewerkschaftlich vereinbarten Lohnerhöhungen. Sie zielt viel mehr darauf ab, darüber nachzudenken, ob klein zu sein nicht ebenso attraktiv sein kann wie als Einzelner kaum reflektiert der viel gelobten Economy of Scale nachzueifern.

Warum denn auch nicht? Klein zu sein kann für Agilität und Geschwindigkeit stehen, für eine höhere Anpassungsfähigkeit an den Markt durch raschere Entscheidungsfindungen. Oder für das Ergründen neuer Geschäftsmodelle, für die bei größeren Unternehmen oft die Lobby fehlt. Klein zu sein ist ein unpopulärer Gedanke, den zu denken sich aber gerade jetzt lohnen könnte.

Warum immer allein und gegen alle Mitbewerber?

Vermutlich ist das die zentralste Frage in der aktuellen Situation. Natürlich stehen wir alle im ständigen Wettbewerb miteinander und hinterfragen unsere Geschäftsmodelle in schöner Regelmäßigkeit. Der Markt wächst, der Konkurrenzdruck nimmt nicht ab. Doch wie kann ein vergleichbar kleines EMS seinen Kunden neben ausgetretenen Pfaden zu besseren Ergebnissen verhelfen und den Kundennutzen spürbar erhöhen?

Die Arbeit des renommierten und in der EMS-Branche äußerst gut vernetzten EMS-Experten Dieter G. Weiss lässt bereits seit einiger Zeit die Interpretation zu, dass die „Großen“ auf Kosten der „Kleinen“ wachsen. Höchste Zeit also, dass kleinere EMS Ihre Möglichkeiten bündeln und gemeinsam mehr für den Kunden bieten, indem sie gemeinsame Stärken herausarbeiten oder sich untereinander mit selbigen ergänzen. Unter strikter Einhaltung kartellrechtlicher Vorgaben ergeben sich hier Möglichkeiten, die allen zu Gute kommen: dem Kunden, den kleinen EMS und damit letztlich der Branche.

Warum sich durchsetzen auf Kosten anderer?

Schon klar, Verhandlungen sind nun mal häufig distributiv und nicht integrativ. Leider lässt sich der Kuchen nicht immer vergrößern. Dennoch ist eine Verhandlungsstrategie, bei der es ohne Verlierer keine Gewinner gibt, nicht auf Langfristigkeit ausgelegt. Deshalb muss jeder Verhandlung ab einem gewissen Punkt die Überlegung zugrunde liegen: „Was ist dir wichtig und kostet mich wenig?“. So lassen sich Erträge gegen Liquidität eintauschen und umgekehrt. Oder erhöhte Mengen ermöglichen günstigere Preise, beispielsweise, indem Stückzahlerhöhung durch Mehrjahresrahmenverträge abgesichert werden.

Dieser Gedanke lässt sich erweitern: Benötigt der Kunde tatsächlich einen günstigeren Preis, warum nicht die Preistreiber des Wareneinsatzes transparent darstellen, prüfen, welche Bauteilalternativen möglich sind oder ob auch hier die Bezugsmengen erhöht werden können? Und wenn das alles nicht hilft: Was kann an der Leistung zumindest temporär weggelassen werden, um weitere Einsparungen zu ermöglichen (Lieferlosgrößen, Vorfinanzierung, Handling, Versand, usw.)?

Vor dem Hintergrund der erprobten gemeinsamen Zusammenarbeit sind die Möglichkeiten zum Konsens häufig zahlreicher, als ursprünglich angenommen – und gereichen zum beiderseitigen Nutzen. Allerdings nur, solange der Grundsatz „quid pro quo“ auch von beiden Seiten eingehalten wird.
Letztlich eint in dieser spannenden Zeit viele von uns die Notwendigkeit, aufgrund der wirtschaftlichen Gemengelage noch vorsichtiger und verantwortungsvoller zu agieren, als dies in den Vorjahren ohnehin schon der Fall war. Gleichzeitig müssen Hausaufgaben gemacht werden, um bei einer baldigen Konjunkturrückkehr perfekt aus den Startlöchern zu kommen. Ganz schön viel „Müssen“ also. Da erscheint es doch sinnvoll, dem „Müssen“ mehr „Können“ gegenüberzustellen, indem mit antiquierten Konzepten bewusst gebrochen und bisher Ungeliebtes dennoch in Betracht gezogen wird.

Sicherlich sagen diese drei Gedanken nicht jedem zu. Das müssen sie auch nicht. Sie sind aber dazu angetan, Nutzen zu kreieren, die sich von einer im schlimmsten Fall drohenden Billigpreisstrategie – die es ohne Economy of Scale schwer haben wird – drastisch abheben. Stellen wir uns also den Dingen und bergen wir diese Potenziale. Denn wir lächeln alle gern und kein Regen dauert für immer.